Fachkräftezuwanderung für eine erfolgreiche Verkehrswende
Die Klimaschutzziele der Bundesregierung sind eindeutig: Im Jahr 2045 soll der Verkehr klimaneutral sein. Hieraus ergeben sich anspruchsvolle Aufgaben für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), in NRW und ganz Deutschland. Wir müssen die Verkehrsleistungen im Regionalverkehr und im kommunalen Nahverkehr nahezu verdoppeln. Dazu brauchen wir Menschen, die im ÖPNV-System arbeiten wollen und es leistungsfähig halten. Aus dem heimischen Arbeitsmarkt ist der Bedarf an Fachkräften jedoch nicht zu decken. Wir benötigen zwingend die Migration von Fachkräften aus dem Ausland, um den Status quo zu sichern und die Verkehrswende umzusetzen.
Verkehrswende im Fokus: Herausforderungen und Chancen für einen klimafreundlichen ÖPNV im VRR
Auch wenn die Treibhausgasemissionen inzwischen sinken und gemäß Beschluss der Bundesregierung aus April 2024 keine sektoralen Klimaschutzziele mehr eingehalten werden müssen, ist insbesondere im Verkehrsbereich noch deutlich Luft nach oben: Der Verkehrssektor emittierte 2023 zwar rund 1,8 Millionen Tonnen weniger CO₂ als im Vorjahr, lag aber rund 13 Millionen Tonnen über seiner bis dato zulässigen Gesamtemissionsmenge.
Um aktiv gegenzusteuern und die öffentliche Mobilität im VRR für die Zukunft zu rüsten, müssen wir die Leistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bis 2030 um 72 Prozent und im kommunalen Nahverkehr um 61 Prozent ausweiten. Ein solcher Leistungsaufwuchs setzt voraus, dass alle Mobilitätsakteure an einem Strang ziehen. Die Aufgaben sind riesig: Infrastrukturelle Engpässe, Kriege und Krisen mit globalen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Verfügbarkeit moderner und klimafreundlicher Fahrzeuge haben Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Verkehrssektors. Vor allem aber ist der Fachkräftemangel eine enorme Herausforderung für die ÖPNV-Branche.
Demografischer Wandel und reduzierte Wochenarbeitszeit verschärfen die Lage
Eine der Hauptursachen für den Fachkräftemangel ist der demografische Wandel. In den nächsten Jahren wird die sogenannte Babyboomer-Generation aus dem Berufsleben ausscheiden. Gleichzeitig schrumpft das Potenzial an Erwerbspersonen: Es drängen weniger Arbeitskräfte in den Markt als in den Ruhestand gehen. Entsprechend ist die Neubesetzung bestehender Stellen herausfordernd, denn Arbeitgeber konkurrieren um Arbeitssuchende. Die für den Leistungsaufwuchs im ÖPNV benötigten Personalressourcen stellen folglich einen erheblichen Engpass dar.
Verschärft wird die Lage durch Tarifabschlüsse mit aktualisierten Tarifbestimmungen, wie beispielsweise einer niedrigeren Wochenarbeitszeit. Die GDL konnte im Eisenbahnverkehr eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeitende auf 35 Stunden durchsetzen. Die so entstehenden Lücken können nur mit zusätzlichem Personal geschlossen werden.
Personalmangel wirkt sich negativ auf das ÖPNV-Angebot aus
Bereits heute haben die kommunalen Verkehrsbetriebe und Eisenbahnverkehrsunternehmen Probleme, offene Stellen zu besetzen. Immer öfter fallen Nahverkehrsverbindungen aus, weil nicht genug Fahrerinnen und Fahrer verfügbar sind. Ungleich schwieriger wird es werden, genug Fahrpersonal für das Leistungsangebot der Zukunft zu gewinnen. Modellrechnungen für den VRR-Verbundraum zeigen, wie sich der Bedarf an Fahrpersonal im VRR unter definierten Bedingungen zukünftig im Regionalverkehr sowie im Bus- und Straßenbahnverkehr verändern wird – und zwar ausgehend vom oben skizzierten Leistungsaufwuchs und einer schrittweise auf 35 Stunden sinkenden Wochenarbeitszeit. Allein bis 2030 benötigen die kommunalen und Eisenbahnverkehrsunternehmen in unserem Verbundraum jährlich rund 2.200 Personen, die die Züge sowie die Busse und Bahnen in den Städten und Kreisen steuern.
Insbesondere die Neueinstellungen im Regionalverkehr setzen voraus, dass sich ungleich mehr Menschen erst einmal für einen Job im Führerstand interessieren. In den letzten Jahren haben zahlreiche Jobanwärter ihre Ausbildung vorzeitig abgebrochen, Prüfungen nicht bestanden oder schon nach kurzer Zeit ihre Anstellung wieder gewechselt. Es bedarf also der Anstrengung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, dem Personalmangel entgegenzuwirken.
Branche benötigt Fachkräfte aus dem Ausland
Dass sich der Fachkräftemangel nicht nur auf den VRR und das dortige Fahrpersonal beschränkt, versteht sich von selbst. Deutschlandweit ist die Lage in der Branche prekär. Laut Umfragen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bei seinen Mitgliedsunternehmen müssen bundesweit weitere 110.000 Beschäftigte eingestellt werden, um die Verkehrswende und die Klimaschutzziele zu erreichen.
Unsere Ziele werden wir als Branche nur dann erfüllen können, wenn in allen Bereichen das Bewusstsein da ist: Wir benötigen deutlich mehr Fachkräfte, als auf dem heimischen Arbeitsmarkt verfügbar sind. Wir müssen verstärkt auch jenseits der deutschen und sogar europäischen Grenzen Personal rekrutieren und Menschen aus dem Ausland den Eintritt in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Die Bundes- und Landespolitik ist gefragt, die hierfür nötigen Voraussetzungen zu schaffen.
Auch Verkehrsverbünde wie der VRR können ihren Teil dazu beitragen, die Situation zu verbessern. Als Mobilitätsdienstleister nehmen wir in unserer Funktion als Aufgabenträger für den SPNV und als Impulsgeber und Unterstützer von Städten und Kreisen eine koordinierende Rolle ein. In dieser Rolle haben wir gute Voraussetzungen, um als Bindeglied zwischen Bundes-, Landes-, und kommunaler Ebene die Rekrutierung von Fachkräften aus dem In- und Ausland zu unterstützen. Denn wir kennen die Bedarfe auf Stadt- und Kreisebene und sind in übergeordnete Strukturen der Landes- und Bundesebene eingebunden.
Fachkräftegewinnung als wichtigste Aufgabe im ÖPNV
Ansatzpunkte gibt es viele, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. So bietet das novellierte Einwanderungsgesetz der Branche beispielsweise neue Möglichkeiten, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Seit November 2023 gibt es eine neue „Blaue Karte EU“, mit der Einwanderungsmöglichkeiten neugestaltet und erweitert wurden. Für die Branche vorteilhaft sind zudem die neuen Regelungen für Berufskraftfahrer aus Drittstaaten. Die Bundesagentur für Arbeit prüft grundsätzlich nicht mehr, ob die erforderliche EU- bzw. EWR-Fahrerlaubnis und die Grundqualifikation oder beschleunigte Grundqualifikation vorhanden sind. Auch Sprachkenntnisse sind nicht mehr zwingend erforderlich.
Vorhandene Kooperationen wie die VDV-Arbeitgeberinitiative oder Fokus Bahn auf Landesebene erleichtern es den Nahverkehrsakteuren, die überbetriebliche Rekrutierung, Ausbildung und Qualifizierung von Fachkräften zu koordinieren. Ergänzend hierzu sind weitere unternehmensübergreifende Kooperationen mit Industrie- und Handelskammern, Goethe-Instituten oder internationalen Brancheninitiativen denkbar, um die Rekrutierung von ausländischem Personal oder Auszubildenden zu organisieren und voranzutreiben.
Die Fachkräftegewinnung wird die wichtigste Aufgabe im ÖPNV der nächsten 20 Jahre sein. Die Branche tut gut daran, ihre Aktivitäten zur Rekrutierung zu bündeln und verstärkt auch die Migration von Personal in den Fokus zu nehmen. Was im letzten Jahrhundert die Zuwanderung in die Montanindustrie war, wird im 21. Jahrhundert die Zuwanderung in den Mobilitätssektor sein: Sie ist wichtig, um den nachhaltigen ÖPNV der Zukunft, Wachstum und Wohlstand zu sichern.